Recht auf Reparatur

HWB Positionspapier – “Europäisches Lieferkettengesetz"

Der Handelsverband Wohnen und Büro e.V. beurteilt den Vorschlag der EU-Kommission vom 23.02.2022 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (2019/1937) kritisch.

Grundsätzlich ist der Ansatz richtig, dass die EU die Unternehmen in ihren Bemühungen unterstützt, damit diese die Sorgfaltspflicht in ihren Wertschöpfungsketten erfüllen und ein unternehmerisches Verhalten fördern, welches die Menschenrechte sowie die Rechte des Kindes achtet. Jedoch haben einige Mitgliedstaaten bereits Rechtsvorschriften erlassen oder werden dies voraussichtlich tun. Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt können zu einer unterschiedlichen nachhaltigen Unternehmensführung führen. Jedoch schlägt die EU- Kommission eine Richtlinie vor, die nur die Mindeststandards für den Binnenmarkt festsetzen kann. Wenn die Kommission stringent Wettbewerbsverzerrungen vermeiden möchte, hätte sie einen Verordnungsvorschlag vorlegen müssen.

Diese Absichten allein überfordern jedoch Unternehmen bei der nachhaltigen Unternehmensführung, wenn die gesetzlichen Vorgaben essenziell in den Geschäftsprozess eingreifen. Die Unternehmen haben bereits jetzt ein genuines Eigeninteresse daran, nachhaltige Corporate Governance zu fördern.

Im Einzelnen:

  • Forderung: Es sollten Eckpunkte für Mindeststandards geschaffen werden, die keine Hindernisse für die Freizügigkeit und für den Wettbewerb in Europa mit sich bringen. Ein Wettlauf in Richtung der niedrigsten Standards bei der Sorgfaltspflicht ist zu unterbinden.

Argument: Der Gesetzgeber ist bei der Wahl seiner Harmonisierungsmaßnahme grundsätzlich frei, d. h. es bleibt ihm überlassen, ob er sich z. B. für eine Verordnung oder eine Richtlinie entscheidet (vgl. Art. 249 EG). Aus dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EG) folgt jedoch, dass unter sonst gleichen Gegebenheiten eine Richtlinie einer Verordnung vorzuziehen ist. Die Mitgliedstaaten sind nach dem EG-Vertrag gehalten, EU-Richtlinien in das Recht des jeweiligen Staates zu transformieren bzw. ihr bestehendes Recht anzupassen. Ein Mitgliedstaat ist dann berechtigt, über die Regelung der Richtlinie hinauszugehen, z.B. indem er ein weitergehendes Verbot kodifiziert, als dies die Richtlinie vorsieht.

  • Forderung: Das fachliche Umweltrecht sollte aus dem Anwendungsbereich der Gesetzgebung ausgenommen werden, da es in der EU-Gesetzgebung umfassend geregelt wurde.

Argument: Seit 1973 verabschiedet die Kommission mehrjährige Umweltaktionsprogramme (UAP), in denen anstehende Legislativvorschläge und Ziele der EU-Umweltpolitik dargelegt werden. Ende 2020 legte die Kommission ihren Vorschlag für das 8. UAP vor, das von 2021 bis 2030 durchgeführt werden soll. Das Verursacherprinzip wird in Europa bereits durch die Umwelthaftungsrichtlinie umgesetzt, mit der Umweltschädigungen geschützter Arten, natürlicher Lebensräume, der Gewässer und des Bodens verhindert oder behoben werden sollen. Betreiber bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten wie zum Beispiel der Beförderung gefährlicher Stoffe oder von Tätigkeiten, die zur Einleitung von Abwässern in Gewässer führen, müssen für den Fall einer unmittelbaren Gefährdung der Umwelt Vorsorgemaßnahmen treffen. Falls bereits Schäden eingetreten sind, sind die Betreiber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Behebung der Schäden zu ergreifen und die Kosten zu tragen.

  • Forderung: Die zivilrechtliche Haftung für mittelbare Schäden, die in der Wertschöpfungskette verursacht werden, ist auszuschließen. D.h. der Anwendungsbereich ist rechtssicher auszugestalten und auf direkte Zulieferer zu begrenzen.

Argument: Es bedarf keiner neuen zivilrechtlichen Haftungsregelungen. Es sollte weiterhin die zivilrechtliche Haftung nach deutschem und ausländischem Recht gelten. Eine Inanspruchnahme deutscher Unternehmen für einen durch einen Zulieferanten oder eines Tochterunternehmens verursachten Schaden nach dem deutschen Deliktsrecht darf auch weiterhin nicht möglich sein. Nach § 823 I haftet nur derjenige, der die Rechtsgutsverletzung tatsächlich begangen hat.

  • Forderung: KMU müssen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen bleiben.

Argument: Große Unternehmen verfügen über eigene Abteilungen, um den Berichtspflichten der Richtlinie nachzukommen. KMU verfügen nicht über das notwendige Personal, um beispielsweise die notwendigen Risikoabschätzungen durchzuführen. Der finanzielle sowie administrative Aufwand würde für KMU Mehrbelastungen bedeuten. Als kritisch ist es zu sehen, dass KMU als Geschäftspartner ebenso verpflichtet werden könnten die Sorgfaltspflichten einzuhalten, wie Großunternehmen. Der Verwaltungsaufwand wäre größer als der weltweite Nutzen.

Fazit: Ein nicht angemessener und praktikabler europäischer Rechtsrahmen ist weder im Interesse der Wirtschaftlichkeit noch im Interesse der Nachhaltigkeit geboten.

Köln, April 2022